Kartoffeln in der Krebstherapie, das klingt zunächst einmal widersinnig! Kartoffeln haben viel Stärke und die Stärke treibt den Blutzucker nach oben. Dies führt zu verstärkter Insulin Freisetzung, später zu Hunger, Überessen und Übergewicht. Außerdem ist Insulin ein Wachstumsfaktor und kann das Wachstum bestimmter Krebsarten fördern. Also wie könnten Kartoffeln in der Krebstherapie helfen? Dazu müssen wir ein bisschen weiter ausholen.

Stärke ist nicht gleich Stärke, und Zucker ist nicht gleich Zucker. Es sei an dieser Stelle auf das Kapitel „Zucker und Kohlehydrate“ auf Seite 36 der ersten Auflage des Buches „Willst Du schlank sein oder glücklich?“ verwiesen, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Beim Kochen nimmt pflanzliche Stärke Wasser auf und verändert sich dadurch.  Erst so kann sie rasch im Darm abgebaut und als Zucker ins Blut aufgenommen werden. Das erklärt beispielsweise, warum rohe Karotten sich nur wenig auf den Blutzucker auswirken obwohl sie viel Stärke enthalten. In gekochtem Zustand aber treiben sie den Blutzucker nach oben. Auf der Plusseite steht, dass die weiteren Nährstoffe aus gekochten oder geschmorten Karotten wesentlich besser aufgenommen werden als aus dem rohen Gemüse.

Läßt man gekochte Kartoffeln – oder Nudeln oder Reis – abkühlen und lagert sie über Nacht im Kühlschrank, dann findet eine chemische Reaktion statt: die Stärke wandelt sich zu einem guten Teil in die sogenannte resistente Stärke um. Werden die Kartoffeln – oder Nudeln oder Reis – noch einmal erhitzt, dann verstärkt sich die Umwandlung in resistente Stärke sogar!

Die resistente Stärke kann im Dünndarm nicht verdaut werden und hat so gut wie keine Auswirkung auf den Blutzucker. Erst im Dickdarm wirkt sie als Ballaststoff bzw. als Prebiotikum und dient Darmbakterien als Nahrung. Treffen Prebiotika auf eine vorteilhafte Darmökologie, in der sich günstige Keime angereichert haben, dann entstehen Stoffwechselprodukte, die eine positive Wirkung auf den Darm oder andere Organe haben können. Man nennt diese Stoffwechselprodukte auch Postbiotika. Diese Substanzen gewinnen immer mehr Interesse als mögliche therapeutische Massnahme.

Butyrat (Buttersäure) gehört zu den Stoffwechselprodukten, die von einem gesunden Darm gebildet werden, wenn ausreichend Ballaststoffe von der richtigen Sorte zur Verfügung stehen. Butyrat wirkt direkt auf den Darm und stärkt seine Barrierefunktion [1]. Des Weiteren wirkt Butyrat auf den Eiweißstoffwechsel, ist wichtigster Energielieferant für die Zellen der Darmschleimhaut im Dickdarm, es versorgt den mitochondrialen Energiestoffwechsel von Muskel- und Hirnzellen, und schließlich kann Butyrat das Verhältnis von aktivierten, pro-entzündlichen, zu entzündungsbekämpfenden Immunzellen und den gesteuerten Zelltod, also die Apoptose, haben. Butyrat hat somit einen direkten Einfluss auf die Entstehung von Krebs und kann als natürliche Prophylaxe verstanden werden [2]. Es ist also ein absolutes Must-Have unter den Stoffwechselprodukten!

In der hier vorgestellten Studie wurden Menschen betreut, die aufgrund eines Blutkrebses ihr Knochenmark und damit das Immunsystem zerstören und durch das Immunsystem eines passenden Spenders ersetzen lassen mussten. Dazu werden Stammzellen aus dem Knochenmark übertragen, daher nennt man diesen Prozess Stammzell Transplantation. Diese Prozedur ist sehr aufwändig und nicht ganz ungefährlich. Bei ca. 50% der Patienten wendet sich das Spender-Immunsystem gegen Gewebe des Empfängers, es stößt quasi das Empfänger Gewebe ab (graft versus host disease, GVHD). In vielen Fällen kann man mit einer Steroidtherapie das Spender-Immunsystem wieder beruhigen. Gelingt es nicht, kann dies mit dem Tod des Patienten enden.

Im Labor von Dr. Pavan Reddy, Direktor des Dan L Duncan Comprehensive Cancer Center, wurde bereits zuvor festgestellt, dass der Erfolg der Blutzelltransplantation mit der Darmflora zusammen hängt. Daher verfolgte er mit seinem Team die Idee, dass die Verbesserung der Darmflora zu einer Verbesserung des Therapieerfolges führen könnte.

Da die resistente Kartoffelstärke bereits dafür bekannt war, die Darmökologie und damit die Zusammensetzung der Darmflora günstig zu beeinflussen, wurde in dieser Studie getestet, ob 10 Patienten über einen Zeitraum von 100 Tagen ausreichend resistente Kartoffelstärke als Nahrungsergänzung zu sich nehmen und vertragen würden, um messbar mehr Butyrat im Stuhl zu haben. Die Autoren berichten, dass es keine Nebenwirkungen gab und die Patienten sich besser als erhofft an die Vorgaben gehalten haben.

Nach der Stammzell Transplantation gab es schließlich nur bei einem Patienten Komplikationen, 9 Patienten blieben komplikationslos [3, 4]

Das ist freilich eine viel zu geringe Anzahl an Testpersonen, um daraus bereits schließen zu können, dass eine effiziente Therapie gefunden wurde. Weitere Studien sind notwendig um diese Ergebnisse zu bestätigen.

Aufgrund der Daten dieser und vieler andere Studien sind wir jedenfalls davon überzeugt, dass eine hohe Aufnahme an Ballaststoffen auf alle Fälle vorteilhaft ist und für die Prävention einen nicht zu überschätzenden Stellenwert hat!

 

[1] https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Resistente-Staerke-Gut-fuer-den-Darm,staerke100.html

[2] https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-2006-932371

[3] https://www.technologynetworks.com/immunology/news/potato-starch-can-help-shape-the-gut-microbiome-after-transplant-380127

[4] https://www.nature.com/articles/s41591-023-02587-y